Leere fotografieren liebe ich seit Jahren. Es ist Ruhe in Bildern und das Festhalten friert mir die Ruhe ein, macht sie mir zugänglich, wann immer mir danach ist. Dass ich nicht als einzige Fotografin eine Vorliebe für solche Motive habe, ist mir klar. Allerdings ist mir dahingehend keine andere Person sonst begegnet, der es so geht. Aber zumindest weiß ich davon mit Gewissheit, dass es solche Menschen gibt, weil ich vor ein paar Jahren einen großen Rahmen mit Bildern in einem Sozialkaufhaus fand. Und mich gleich “verwandt” fühlte mit einer fremden Person.
Vor einigen Jahren brauchte ich einige große und vor allem günstigen Bilderrahmen. Dann fand ich in einen großen silbernen, den ich an sich bis heute nicht schön finde. Gekauft habe ich ihn trotzdem, weil sein Inhalt mich fesselte und das bis heute tut: Auf 20 Analogbildern sind ausschließlich Autobahnen zu sehen, und zwar immer dann fotografiert, wenn sie so gut wie leer waren. Besonders spannend finde ich, dass es sich vermutlich stets um Fahrer*in des Wagens handelte, der/die diese Aufnahmen machte.
Obwohl mir der Rahmen mit seinem kalten Silber nicht so gut gefiel und ich kurz überlegte, ihn zumindest neu einzusprühen, beließ ich doch alles so. Die welligen, stichigen Bilder habe ich bis heute nicht angerührt, ebenso wenig den Rahmen. Für mich gehören sie zusammen, wie einst Fahrer*in und seine bzw. ihre Kamera auf dem Beifahrersitz.
Für den einen ist es nutzlos und langweilig, für andere, so wie für mich, ist es Kunst. Zumal ich selber mal vor Jahren versucht hatte, eine solche Serie zu starten, allerdings als Beifahrerin. Leider fuhr ich zuviel selbst und seltener bei jemandem mit, während ich dann noch eine Kamera dabei hatte. In diesem Rahmen steckt also die Arbeit, die ich nie wirklich anging. Dabei liebe ich diese kontemplative Wirkung von leeren Autobahnen, die eigentlich Zeugnis von Mensch und Technik sind, unübersehbare Furchen in der Landschaft. Wenn aber das fehlt, wofür sie gebaut wurden, nämlich eben Fahrzeuge mit Menschen darin, machen sie auf mich einen fast schon entrückten Eindruck.
Immer wieder schaue ich mir die Bilder an und werde dessen nie überdrüssig. Mein liebstes Bild ist im Übrigen das ganz rote (3. Reihe, 2. von links). Weil es hier aussieht, als würde man gerade beim Fahren in eine Parallelwelt hinübergehen oder als hätte die Realität ein bisschen Schluckauf.
Warum es im Sozialkaufhaus gelandet? Das fragte ich mich gerade die ersten Monate nach dem Kauf sehr häufig. Hatten die Verwandten einfach keinen Sinn darin gesehen? Oder gab es keine Verwandten mehr, als der/die Fotograf*in verstarb? Und genau im selben Atemzug dann dieser Stich im Herzen – wird es mit den Zeugnissen dessen, wofür ich mich Zeit meines Lebens interessierte, genauso gehen? Dabei kann ich das mittlerweile mit einem Ja beantworten, denn seitdem die Bilder bei mir einzogen, habe ich zwei Freundinnen verloren, derzeit mache ich den Umzug meiner Eltern mit. Ich habe geholfen, viele, viele Besitztümer zu sortieren. In großen Teilen wurde einiges weggeworfen, was mich anfangs sehr schmerzte. Weil man Stück für Stück Teile eines Menschen, Geschichte, Zeugnisse, verdammte – so fühlte es ich für mich an. Gleichzeitig konnte ich selbst ja auch nicht alles aufheben, ob ich wollte oder nicht. Wie es also mit den Freundinnen ging, wie es gerade mit meinen Eltern geht – das zeigt mir, dass das bei mir wohl so ähnlich auch passieren wird. Dinge wegzugeben würde nicht zwangsläufig bedeuten, dass man sie nicht schätzt. Aber ein Menschenleben sollte vielleicht nicht andere Leben anhäufen in Form von Dingen (wohin kann es dann noch selbst?). Zumindest fände ich Gedanken, ein Lächeln, eine Träne viel schöner, damit geht es leichter weiter (und es tut so oder so weh).
Zumindest diese Bilder von leeren Autobahnen sind nicht verloren gegangen. Sind sind Teil meines persönlichen Reiches geworden und einer der zauberhaftesten Schätze darin (zumindest für mich). Und gefunden werden zu können, Teile von einem selbst, auch wenn ich das Klammern an Dinge eben nicht mehr völlig sinnvoll finde – diese Möglichkeit ist dennoch irgendwie tröstlich. Vor allem dann, wenn man sich unverhofft verbunden fühlen kann.
2 Kommentare
Die wohl schönste Serie von Ruhe die ich je gesehen hab. Ich hab in meinen jüngeren Jahren als Fotografin immer nach dem Nebel auf der Autobahn gesucht und ihn gejagt. Ich kenne das Gefühl. Und ich liebe es. Versuche es immer und immer wieder zu konservieren.
Oh, toll zu hören, dass man nicht alleine damit ist! Und freut mich, dass es dir ebenso gefällt, was da erschaffen wurde. Dann kannst du sicherlich gut nachvollziehen, dass ich dieses Sammelwerk nicht mehr hergebe <3