Sie schreibt und schreibt und dann haut sie ein Chapbook (aka Gedichtheft) raus. Einfach so? Sicherlich nicht. Der Prozess von BLNK zog sich hin, das Papier habe ich Januar 2018 bestellt, aber final Jan/Feb 2019 erstmals bedruckt. Zwischen Idee und Ausführung, die eine wunderbare Resonanz nach sich zog, lag noch mehr Zeit als bloß dieses Jahr, angefüllt mit Ruhenlassen, Selbstzweifeln, Hektik und verwundbar machendem Stolz auf das Wagen.
Darf ich das, die Lyrik?
Lyrik und ich habe eine schwierige Historie. Ich las und schrieb lange für mich zu Teenagerzeiten, die sind eine Weile her. Damals auch der Versuch der Öffnung für Kritik in einem Lyrikforum. Ich bekam positive Antworten, aber in mein Herz brannte sich ein (1!) einzelner Kommentar ein: “Du magst Rilke? Du klingst wie Rilke. Ich sehe keine Innovation. Lass es.” Ich hatte kein Netz, das mich da auffing, mich unterstütze. Ich ließ es bleiben, weil ich mich für meine Versuche schämte. Ich nahm an, dass ich “Lyrik nicht darf”.
Nicht schreiben kann ich nicht. Ich schrieb an Prosa, Romanen, “Saint Blake”, dann an “Die Asche des Prinzen”. Nicht Aspekte meiner Persönlichkeit meinen Protas “andichten” kann ich auch nicht. Also kämpft Tristan, Prota in “Die Asche des Prinzen” mit Anxiety und seinem Wunsch, seiner lyrischen Seite Gehör verschaffen zu können. Und dank Tristan, dank einer fiktiven Figur, habe ich 2017 wieder begonnen, lyrische bits and pieces aufzunehmen, niederzuschreiben, in Gedichte zu flechten. Der Plan war, “seine” Gedichte zu Beginn jeden Kapitels einzubinden. Aber schnell merkte ich: Die Lyrik war meine, nicht seine. Ich schrieb, jede Woche mehrere Gedichte ab dieser Erkenntnis.
Get your shit done!
Zu merken, dass man kein lebloser Stock, sondern ein lebendiger Baum ist, mit Zweigen und Zweigen und nochmal Zweigen, das erschreckte mich aufgrund der Annahme, dass ich “Lyrik nicht darf”. Da ist ein Zweig, die Lyrik, der/die nicht sein darf? Die Community auf Instagram, die es zu meinen Teenagerzeiten nicht gab (yes, I’m old), “belehrte” mich auf die humanste Weise. Sie sagte mir: “Sag, was du zu sagen hast. Sag es, wie du meinst, dass es zu sagen ist. Sei du selbst. Schöpfe aus dir, du bist dein größter Schatz.” Klingt cheesy, aber nun. Ich mochte das. Ich mag das. Ich kann das auch nur immer mögen, denn ich bin immer ich final. Duh.
Im Januar 2018 kaufte ich mir Papier, denn mein Drucker ist recht okay und ich wollte mich nicht mit nervigen Druckerei-Disputen belasten und über eventuellen Ärger gleich wieder alles schmeißen (gab immer wieder Probleme im Design-Studium, aber da musste ich es durchziehen; ohne externen Druck befürchtete ich eben das Hinwerfen). Grau für das Cover, zartrosa für die Innenseiten. Innen ist es eben roh. Ich mag Schwarz und Grau, aber Rosa ist die Nuance in meiner “Marke” (ich nenne es mal so, denn das zieht sich schon seit Jahren durch die Gestaltung meines Blogs), die das erklärende Sternchen für alles ist, was ich tue. Das leise “Aber hey!” Ruhen musste es dann doch, weil ich privat Schicksalsschläge im Jahr 2018 zu verarbeiten hatte. Die flossen in Prosa und Lyrik, aber gestalten kann ich in solchen Zeiten kaum. Was sich Bahn brechen will, tut es in Worten bei mir.
Im Dezember dann der Schuss ins Blaue – die Frage auf Twitter und Instagram, wer überhaupt Interesse hätte an einem Heftchen mit 15-20 Gedichten zu Material- und Versandkostenpreis. Mehr reinzunehmen gestand ich mir nicht zu, dazu war mir der lyrische Boden zu frisch. Aber die Antworten kamen, ich wurde nicht umgerannt, aber das war mir egal. Ich freute mich über jede Interessensbekundung und setzte öffentlich einen Termin, Ende Januar 2019. Ohne öffentliche Termine prokrastiniere ich zu sehr, to be honest. Stellte sich als weise Voraussicht heraus.
Im Dezember selektierte ich grob, kam bei 26 Gedichten heraus. Bei Betrachtung der Themen fiel mir eine Dreiteilung auf – Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Nicht innovativ, aber es war nun mal so. Ich wollte nichts forcieren, sondern auf das Rücksicht nehmen, was ich geschrieben hatte. Form follows function, gewissermaßen. Ich möchte nicht für die Form produzieren, der Inhalt sollte der Form übergeordnet sein.
Cool, cool.
Den Januar prokrastinierte so hart, dass sich Selbstweifel breit machten. “Interessiert doch keinen. Wundert sich niemand, wenn es nicht passiert.” Aber dann wurde ich sauer auf mich selbst. Ja, meine SoMe-Bubble hätte gesagt “Ist ok! Alles cool!”, aber nicht, weil es ihr total egal wäre, sondern weil sie so toll ist, Verständnis haben wollte. Das negativ umzudeuten, nahm ich mir selbst übel. Also setzte ich mich Ende Januar daran, schmiss noch ein paar Gedichte heraus. Die Quersumme der Anzahl an Gedichten ist übrigens meine Lieblingszahl, die sich auch immer wieder irgendwie in Prosatexten findet. Nana ist Schuld.
Die Gestaltung war ein Gewaltakt von einer Woche, aber so arbeite ich zu 99% bei Gestaltungssachen. In kurzer Zeit jeden Tag mehrere Stunden. Schön: Probedrucke konnte ich einfach Zuhause machen, wo ohnehin gedruckt werden sollte. Und sie kosteten mich keinen Cent extra, so gesehen. Freiheit, quasi.
Angelehnt ist die Gestaltung an die Chapbooks, wie ich sie aus meiner Jugend kannte (Collagen mit Zeitschriftenschnipseln, teils mehrfach kopiert; handschriftliche Annotationen; meist kein Gestaltungsraster) und über die ich erstmals mit Lyrik in Berührung kam privat. Das Besprechen von Goethe & Co. in der Schule hat mich weniger berührt. Das war Pflicht ohne große Emotion. Zumal mich klassische Altherren-Reime nicht reizen, sie grenzen mich persönlich ein, sie berauben mich der Worte, die geschrieben werden wollen.
Die Berechnung der Kosten war simpel – Preis pro Blatt ausrechnen, Preis Umschlag + Briefmarke angeben, addieren. Den (Farb-)Druck habe ich nicht berechnet, einfach, weil ich nicht wollte. Dass bei all den wunderbaren Bestellungen ein Set Patronen (und, so am Rande, ein 500er-Pack des rosafarbenen Papiers bei 8 Blatt im Heft selbst) draufging, nahm ich als Belohnung wahr. Als Interesse. Wirtschaftlich ist das nicht, aber das wollte ich auch nicht sein.
Man sieht vielleicht nun, dass das nicht “mal eben” war. Man zeigt sich nicht “mal eben” von einer seiner verwundbarsten Seiten und Lyrik ist für mich sehr persönlich. Weil Angst, weil Ehrlichkeit, weil irgendwo “privat”, aber dann öffentlich. Ich hoffe, dass sich niemand von Instagram-Poeten davon täuschen lässt, dass Gedichte “mal eben” rausgehauen werden. Nur weil der Zugang einfacher geworden ist, ist es nicht leichter, seine Gedanken zugänglich zu machen. Klingt widersinnig, aber das ist das Dilemma von Social Media. “Schnelligkeit” ist nicht “wenig Arbeit”, “Unehrlichkeit”. Zumindest in meinen Augen nicht automatisch. Das Ganze dann auf Papier zu setzen, ist nochmal ein anderer Akt, einer, den ich persönlich sehr schätze. Wenn jemand überlegt, das auch zu tun – bremst euch nicht selber aus. Macht es. I want it I got it. Thx, Ariana.