Lange Zeit habe ich das Wort “ich” gemieden. Aber seit einigen Jahren erscheint eben dieses Wörtchen mir persönlich wichtiger denn je und das im Zuge meines zunehmenden Interesses für gesellschaftliche und politischen Themen. Dass ich davon ausgehe, dass das kein Zufall ist, ahnt man gerade vielleicht. Nur behaupte ich zusätzlich: Das Wort “ich” ist allgemein wichtiger denn je.
Zum Einstieg drehe ich mal ein bisschen die Zeit zurück, meine, um genau zu sein. Und dabei geht es um die Frage, warum man das Wort “ich” meiden wollen könnte. Das lag bei mir an mangelndem Selbstbewusstsein und der Erfahrung, daraus folgend die Annahme, dass ich persönlich nicht interessant genug für andere sei. Wenn man mich nach meiner Meinung fragte, stotterte ich schlimmstenfalls nur herum und war froh, wenn es in einer Diskussion schon populäre Ansichten gab, denen ich mich dann nur mit “Sehe das auch so” anschließen konnte. Davon zu sprechen oder schreiben, wie konkret ich etwas als Individuum sehe, war in meinem Kopf für selbstbewusste, schlimmstenfalls egozentrische Menschen reserviert, denen kein Gegenwind drohte, wenn sie ihre Meinung kundtaten. Ich stellte mich hinten an. Weniger “ich” für mehr “unter dem Radar” und “mit dem Strom schwimmen” und vor allem – gefälliger wirken.
Das ist glücklicherweise schon eine ganze Weile her und änderte sich in einer Zeit, als ein mir nahe stehender Mensch mir suggerierte, dass man sich meine Ansichten nicht anhören müsse und wenn ich das ignorierte, wurde ich als egoistisch, aufrührerisch, respektlos und unweiblich (!) hingestellt. Dabei versuchte ich nur, gegen die von mir empfundene Ungerechtigkeit zu kämpfen. An dieser Stelle hätte ich einknicken können, wo es ja nur bestätigte, was ich lange bei geringem Selbstbewusstsein von mir selbst dachte. Aber weil es eben von dieser Person kam, schlug es in das Gegenteil um.
Was aus meinem persönlichen Werdegang in charakterlicher Hinsicht erwuchs und dazu führte, dass ich bewusst meine eigene Meinung schärfte, abwägte und dort kundtat, wo ich andere oder mich selbst “untergraben” sah, wurde mehr als “bloß” ein stärkeres Selbstbewusstsein. Es entwickelte bei mir eine gesteigerte Wahrnehmung meines Umfeldes und seine Reaktion auf meine als Ich-Botschaft formulierte Meinung. Ich umgebe mich, sofern möglich, daher nicht mehr mit Menschen, die meine Meinung nicht einmal anhören wollen (das ist in meinen Augen übrigens ein gewaltiger Unterschied zu “sich mit Menschen umgeben, die meiner Meinung sind”). Diese “Möglichkeit” ist begrenzt und bisweilen musste ich sie mir auch immer wieder erkämpfen. Immer wieder versuchten Menschen aufgrund von Stellung, Alter und/oder Geschlecht, Aussagen wie “Ich finde, dass…”, “Ich sehe das anders, und zwar…” zu untergraben mit offener Geringschätzung und offensichtlicher Schadenfreude, wenn ich doch mal wirklich daraufhin schwieg. Ich musste lernen, dass manch andere manchmal lernen müssen zu akzeptieren, dass ich auf Augenhöhe diskutieren möchte und kann; dass das nicht bedeutet, respektlos zu sein oder die Meinung anderer nicht zu schätzen. Und vor allem, dass, solange sie nicht offensichtlich schadet, eine Meinung per se nicht falsch ist.
Seit einigen Jahren verfolge und beteilige ich mich mehr an Online-Diskussionen gesellschaftlicher und/oder politischer Natur (was ich privat schon länger zuvor tat). Wo ich privat schon meinen Grund, auf dem ich stehen möchte, gut gesichert hatte dahingehend, wer in meinem Umfeld meinungsoffen ist, musste ich scheinbar online von vorne beginnen. Tatsächlich aber entwickelte sich dieser “Kampf” nur für mich sehr viel anders als “offline”. Zu der Ebene der Beziehung zu sich selbst und anderen kam nämlich hier noch die der Darstellung von Meinung als Tatsache hinzu – und hier komme ich an den Punkt, wo ich sage: Das Wort “ich” ist allgemein wichtiger denn je, nicht nur für mich persönlich. In dem Zuge meine ich übrigens auch Formulierungen wie “meiner Meinung nach”, “meiner Erfahrung nach”, “in meinen Augen” etc.
Die Arbeit mit Quellen scheint dem Internet teils gefühlt ein Graus, man kann den Eindruck bekommen, es werde lieber postuliert als belegt zitiert und als “Wahlmöglichkeit” deklariert. Was ich früher nur von Klatschzeitschriften kannte (“So nehme Sie garantiert ab!”) findet man ja nun auch so überall im Web zu jedem erdenklichen Thema. Eine Liste mit Ratschlägen ist häufig zusammenkopiert und formuliert als “SO gelingt XY!”. Weniger knackig, aber in meinen Augen ehrlicher, ist der eigene Erfahrungsbericht, der deutlich macht: “So habe ICH das erlebt, vielleicht kannst DU es dann auch oder so ähnlich?”, statt “SO kannst du es!”. Ähnliches entdecke ich immer wieder in Diskussionen auf Social Media, selbst wenn Dinge gesagt werden, die ich auf allgemeiner Ebene persönlich unterstütze. Zu schreiben “Das ist so und so!” statt “Ich sehe das so und so!” eröffnet mir gefühlt keinen Spielraum, es persönlich anders sehen zu dürfen. Ich bin beileibe keine Kommunikationswissenschaftlerin, aber lädt die Ich-Botschaft nicht mehr dazu ein, zu diskutieren? Impliziert sie vielleicht, dass wirklich mit dem/der Sender*in diskutiert werden DARF, dass der Inhalt keinen Anspruch erhebt, für eine Gruppe oder gar alle Menschen zu stehen? Und wenn ich formuliere “Ich finde, dass…” und die Antwort in etwa “Das stimmt nicht!” oder “Es ist doch wohl klar, dass das nicht so ist!” lautet, kommt bei mir im Subtext die Aussage an, dass ich völlig daneben liege und alle das wissen, nur ich nicht, shame one me (und ja, dann fühle ich mich bei so einer Art “Du-Botschaft” eher angegriffen, ehrlich gesagt).
Im Laufe diverser Diskussionen habe ich (ohne Strichlisten zu führen, haha) beobachten können, dass Ich-Botschaften in Diskussionen (zusammen mit einer gewissen Sachlichkeit) auf beiden Seiten häufig weniger werden, je mehr Unterstützung durch andere eine einzelne Seite in Form von Likes und/oder Unterstützungskommentaren erhält. Das tut mir weh, gerade dann, wenn ich derselben Meinung bin. Der Ton kippt dann meinem Eindruck nach häufig, es entstehen Opfer- und Täter-Gruppen. Und das wirklich auf allen Seiten, je nach Richtung der die Diskussion initiierenden Botschaft. Häufig sind mäßigende Ich-Botschaften nach einer Reihe von vorwurfsvollen Du-Botschaften von anderen abgeklatscht worden als “naiv” oder komplett ignoriert worden, auch wenn sie (meiner Meinung nach) schlicht versuchten, alles auf einen common ground zurück zu führen. Diskussionen, die ich gerade auf Twitter führte, wo auf beiden Seiten konsequent mit Ich-Botschaften kommuniziert wurde, waren in der Regel die, wo ich Social Media am Ende des Tages nicht verfluchte, sondern als enorm bereichernd empfand. Weil ich Wertschätzung erhielt und sie auch selber kommunizierte. Weil Meinungen als Meinungen da standen und nicht als allgemein gültige Tatsachen.
Hoffentlich ist jetzt klar geworden, was ich mir wünsche: Mehr von dem Wort “ich”, denn jeder Mensch verdient es, es zu benutzen und jeder Mensch verdient es, es zu hören, wenn diese Art der Kommunikation bedeuten könnte, den Austausch zu verstärken statt das Hochziehen emotionaler Wände. Auch mehr Formulierungen wie “meiner Meinung nach”, “meiner Erfahrung nach”, “in meinen Augen” etc., gerne auch bei Zeichenbegrenzung abgekürzt mit “mMn”, “mEn” oder “imA” usw. Das ist sicherlich nicht die Lösung für alle Probleme im Netz (es ersetzt für mich jetzt auch keine “gute Kommunikationsstube”, in der auf Argumente eingegangen, Bitte / Danke gesagt und nicht beleidigt wird), aber ich würde mir dadurch schon erhoffen, dass gerade Gruppen, die eigentlich ähnlich ticken, sich nicht untereinander diskursiv zerfleischen, statt verflixt nochmal miteinander gegen Ungerechtigkeiten zu kämpfen.