Ist ein Tagebuch kuratiert? Früher war es das für mich nicht, als ich noch täglich schrieb, wen ich traf, was ich erlebte und was es zu Mittag gab (warme Mahlzeiten waren mir ein Fixpunkt, sind heute eher Belohnung und Luxus, wo ich selbst koche und die Konsequenzen in Form von dreckigem Geschirr immer neu bewerten muss bei Vollzeitarbeit und selbst geführtem Haushalt). Tagebuch war eine Allerlei-Instanz und wurde nicht hinterfragt. Irgendwann begann ich, mich an Banalitäten zu stören. Statt sie zu relativieren mit Besonderem und weil das Besondere ohne ein Zutun selten anklopft, ließ ich das Tagebuch verstauben.

Jahre später, der Wunsch nach Freude am Haben, statt am haben Wollen – gewachsen. Tagebuch als Reflektion und Versicherung des Habens. Alles reflektieren aber doch eine Sache der Unangemessenheit. Also kuratierte ich den Gegenstand der Betrachtung: Zufällige Begegnungen, Sichtungen und resultierende Gedanken. Schnell verdrängt von nie abgesendeten Briefen in einer unglücklichen Beziehung als Symptom meiner Angst, loszulassen, allein zu sein und schlimmstenfalls zu lernen, mir eine beiderseitig gesunde Beziehung gar nie leisten oder verdient haben zu können.

„Wert“ suchen in sich und anderen stiehlt mir Zeit und Möglichkeiten. Auf eine leise Art ökonomischer stattdessen: Wahrnehmen, festhalten, loslassen. Nicht zerstückeln, wiegen, die Außenwirkung bedenken. Die Fotografie erlaubt mir das. Das Loslassen ist dann eben das „Diary“ auf dieser Seite, wertfrei betitelt mit Datum je Foto. Jedes Foto eine Wahrnehmung, die ich genug schätzte für eine Aufnahme, der Moment kuratiert, nicht ich voll bewusst – das ergibt häufig Weite, Leere, Fläche, Linearität, manchmal auch komprimierte Fülle als Gegensatz. Das Warum deuten, würde jede Person bei Betrachtung auf ganz eigene Weise tun. Das multipliziert mich in Köpfen anderer und verändert nicht, wer ich bin (tageweise, wochenweise, wellenweise). Wenn ich zurückblättere, denke ich dennoch nochmal über mich selbst nach, wo ich war zum Zeitpunkt des Fotos. Ein Nicken in meine eigene Richtung. Ich lasse los, aber mich nicht, ich gehe weiter, halte fest.
