CONTENT NOTE: Corona, Angst
Dieser Text ist ein Repost von Januar 2021 aus dem Offline-Blogarchiv.
Meine Armbanduhr ist Dezember 2020 stehengeblieben. Ich besitze nur eine, sie ist nicht unwichtig. Sie ist auch meine Möglichkeit zu prüfen, ob ich mich im Griff habe – wenn ich die Zeit nicht richtig rate, bin ich irgendwo versunken, worin ich nicht mit Dauer X versinken sollte. Auf dem Smartphone die Zeit nachschauen ist eigentlich per se verlorene Zeit bei mir (plötzlich auftretende Ideen- bzw. Ziellosigkeit beim Herausholen des Geräts).
Aber ich bin nun monatelang nicht wirklich unterwegs gewesen, für den Supermarkt brauche ich keine Armbanduhr. Mein Kreis ist kleiner geworden – mein Bewegungskreis. Mein Gedankenkreis. Die Ausdehnung möglicher Emotionen analog geschrumpft, an manchen Tagen bloß knopfgroß. Weniger geworden ist parallel dazu auch mein Output in Worten – seien es Blogposts, schriftliche Kommunikation auf Social Media, sei es Prosa oder Lyrik. Die Schwierigkeiten dabei sind, alle gleichermaßen pandemiebedingt, jeweils unterschiedlich bei mir.
Wenn ich Medien als Ausblick sehe in andere Leben, lässt sich das als „Erweiterung des Horizonts“ interpretieren. Den Horizont wirklich zu erweitern gelingt mir seit spätestens Mai 2020 in diesem Sinne dann nur sehr schlecht. Meine Fähigkeit, mich auf ein neues Buch, einen neuen Film, eine neue Serie etc. zu konzentrieren ist ohnehin schon die letzten Jahre weniger geworden. Aber der Einbruch angesichts Umzuges aus der Heimat für einen befristeten neuen Job zu Beginn einer globalen Pandemie – da lachten mich neue Dinge zum Ablenken zwar vielfach an, aber erschreckend wenig konnte mich seit letztem Jahr halten.
Und ich schämte mich dieses Zustandes genug, um mich auf Social Media nach einiger Zeit deplatziert zu fühlen. Ich konnte nicht mitreden, wenn es um neue Erscheinungen ging. Ich wollte aber so gerne. Ein Stück weit war ich wütend auf mich, dass ich mich nicht effizient genug zwingen konnte, auf dem Laufenden zu bleiben. Ich habe es aber taufen können, fast liebevoll nämlich Survival Mode Anger. Wenn mein Geist sagt, dass es einfach mal genug mit Neuem und mit Zwängen ist, weil die Nachrichten und die Angst und die Ungewissheit so sehr quälen, dann ist das so. Aber manchmal traf es mich, wie andere weiter produzierten, besprachen, kommunizierten. Eine irrationale Wut auf mich selbst, auf diese „Überlebensstarre“, nicht zumindest zwei Gänge höher schalten zu können, war leider sehr häufig sehr real. Und nur weil ich dem Ganzen einen Namen gab, ist es damit auch – immer wieder mal spürbar – nicht vorbei.
Immer öfter gehe ich zurück in „alte Zeiten“. So sehr, wie das Rezipieren neuer Erscheinungen in Buch, Film, TV, Musik usw. bei mir zurückging, stieg mein Konsum von Medien, die mich bereits seit Jahren begleiten (besonders auch Inhalte, die ich seit mehreren Jahren gar nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte, Shoutout an Fall Out Boy mit Sugar, We’re Goin Down) und in irgendeiner Form tröstend sind. Das ist dann keine normale Nostalgie mehr – ich erinnere mich nicht kurz lächelnd (und zufällig) an etwas – ich suche etwas bewusst heraus, breite es aus, lege mich hinein und rolle mich darin zusammen. Das sind häufig die Momente, in denen mein Lachen am ehrlichsten ist und wo es mir am leichtesten fällt, in mich selbst zu blicken. Da sitzt die Angst nämlich gerade woanders, zu Besuch sind schöne Erinnerungen und Gefühle. Survival Mode Nostalgia, ich mochte es so nennen und finde das immer noch sehr passend. Kopfüber ins Warme, Sommerwiesenwind, Berührungen. Manchmal folgt die oben bereits erwähnte Wut, denn hier investiere ich Energie in die Vergangenheit, die ich auch ins Jetzt stecken könnte. Funny enough – diese Gedanken führen bei mir derzeit öfter dazu, Wohlfühlkram mit einer Engstirnigkeit zu konsumieren, dass es wieder an „Überlebensstarre“ grenzt.
Am meisten gelitten hat wohl bei mir die Lyrik. In den letzten Jahren schöpfte diese sich nie nur aus mir selbst in Bezug auf Emotionen, Erinnerungen und/oder Handlungen, sondern flocht immer Bilder der Welt ein, in der ich mich bewegte. Tatsächlich war es immer das, was mich am Tag in seinen Bildern in irgendeiner Form berührte und entweder zu etwas Neuem oder einer Verarbeitung von Erlebtem in Worten wurde. Was ist da jetzt? Neues gibt es kaum, zumindest nichts, worüber ich schreiben möchte. Ansonsten könnte ich zig Stunden lang darüber schreiben, wie ich gerade Angst davor habe zu sterben und mich nicht mehr sicher fühle in Deutschland, besonders nicht in NRW. Wie wütend ich bin, dass ich mich einschränke, aber die Regierung nicht einmal Schule für die Schüler*innen und meine Kolleg*innen sicher, aber stattdessen Flüge nach Malle möglich macht. Die Liste könnte ich sehr, sehr lange fortführen. Ich mag mich zwar gerade in Survival Mode Nostalgia einwickeln, aber das möchte ich nicht mit dieser anderen Seite von Survival Mode Anger (der Wut darüber, sein Leben einzuschränken, um nicht nur sich, sondern auch andere zu schützen und dann zu sehen, wie herrlich egal das eigene Leben anderen Menschen teilweise ist). Und um auf meine vertraute Weise (die jetzt eben wegen ihrer Vertrautheit gut täte) Lyrik zu schreiben, müsste ich rauskommen, reisen, neuen Input bekommen in verschiedenster Form. Stattdessen pendelt mein Leben zwischen Wohnung, Supermarkt und neuerdings erst wieder Schulgebäude. Das löst nichts aus – außer manchmal ein geseufztes „Immerhin am Leben, ne?“
Das, was ich auf Social Media so von mir preisgebe schafft generell ein gewisses Bild. Wie das genau geht, habe ich noch nicht ganz verstanden. Vermute, es hat wohl etwas mit Kohärenz und dem richtigen Splitter an Authentizität zu tun. In etwas wirklich gut sein habe ich mal jetzt nicht angebracht, das suche ich selbst immer noch. Mir bleibt gefühlt nur Kohärenz und Authentizität. In die Richtung bewegte ich mich zufällig eine Zeit lang, aber jetzt weiß ich nicht, was ich bin.
Aktuell atme ich bloß und habe neuerdings zwei Katzen. Wer immer mir mal gefolgt ist aus Grund X oder Y, steht jetzt vor Inhalt Z (sorry, wenn ihr keine Katzen mögt), den ich selbst nicht beschreiben kann, der nur langsam tröpfelndes Derivat zig angefangener und gelöschter Dinge ist (und dann meistens bloß ein Tweet). Ich wähne mich als Künstlerin, weil ich schreibe, fotografiere, zeichne. Das was ich jetzt gerade produziere, ist die kaum sichtbare Art of Survival. Das heißt, ich erhalte den Status quo, aber eine Entwicklung, eine Erweiterung meiner Selbst ist das nicht. Und das auszuhalten finde ich schwer. Und ich weiß nicht, in was und wie ich das umwandeln kann. Wenn ich von Herausforderungen auf der Arbeit herunterkommen möchte, hat es geholfen, zu schreiben, zu fotografieren, zu zeichnen. Pandemiebedingt ist die Arbeit in der Schule unglaublich anstrengend, frustrierend und mittlerweile sogar beängstigend für mich. Pandemiebedingt funktionieren aber meine kreativen Coping-Strategien wesentlich schlechter.
Ihr merkt, zu einer Lösung komme ich nicht, aber das hier sollte auch nur eine Momentaufnahme sein. Mit der zarten Hoffnung, dass ich in nicht allzu ferner Zeit auf diesen Post stoße und froh sein kann, dass ein etwas normaleres, hier also erfüllteres Leben möglich geworden ist, das nicht nur besteht aus atmen und warten. Ein Leben, für das es sich lohnt, die Batterie der Armbanduhr wechseln zu lassen.