DIESER TEXT IST EIN REPOST VON SEPTEMBER 2019 AUS DEM OFFLINE-BLOGARCHIV MIT AKTUELLER ERGÄNZUNG AM BEITRAGSENDE (KOMMENTAR/LINKS).
Ich kann nicht behaupten, dass ich meine – unsere – Zukunft rosig finde. Jugendliche gehen deswegen, also insbesondere wegen Klimarettung, auf die Straße, während Erwachsene (die irgendwie nicht meiner Traum-Definition von “erwachsen” nahekommen) ihnen absprechen, Ahnung zu haben. Oder sie dafür dissen, keine Deux-ex-machina-Erfindung herangebracht zu haben, die sorglosen Konsum und Klimarettung zugleich bringt. Hoffnung sieht für mich anders aus. Aber auch schon vor Fridays For Future ging es mir so. Dass Dystopien seit Jahren Hochkonjunktur zu haben scheinen, sei es in Film, Fernsehen oder Literatur, zeigt mir, dass es manch anderem Menschen da draußen ähnlich gehen könnte. Aber ich bin der Apokalypsen, Post-Apokalypsen und Dystopien müde. Vielleicht, weil ich Lust auf Hoffnung habe. Vielleicht auch, weil die “Challenge” nicht mehr für mich darin besteht, eine Dystopie oder (Post-)Apokalypse zu zerdenken. Das eine ist ja quasi in Teilen schon da, das andere scheint fast eine logische Folge zu sein (vielleicht minus Zombies, but who knows). Aber was bleibt dann der Phantastik, wenn sie unsere Zukunft weiterspinnt?
“Well, all stories about the future are actually about the now.”
Slate 2017
– Margaret Atwwod
Warnung aus Höflichkeit vorneweg: Wer die Meinung vertritt, dass das Großgenre der Phantastik nur “freundliche Spinnerei” und niemals politisch sein (und somit gesellschaftlich jetzt oder später Relevantes abbilden) kann, ist hier nicht richtig. Ich glaube ähnlich wie die oben zitierte Autorin von The Handmaid’s Tale, dass alle phantastische Genres, besonders jedoch nochmal Science Fiction oder Science Fantasy vom Jetzt zehren und Ausblicke geben können. Auf dieser – meiner – Einstellung fußt dieser Beitrag.
Mir stellt sich derzeit häufig die Frage: Wenn ich mich z.B. in Literatur auf Entwürfe einer Zukunft einlasse – ist die Utopie als Gegenstück zur Dystopie dann mehr als alles andere eine „Flucht“ vor den sicher scheinenden Konsequenzen unseres bisherigen und jetzigen Handelns? Oder ist die Utopie eine Art des Mutes, Hoffnung zu haben, wo das Jetzt schon Ängste hat Realität werden lassen, die mal als Fiktion galten?1
Lange ging ich selbst davon aus, dass ich, wenn ich von einer Zukunft schreibe oder lese, nur Düsternis akzeptieren kann. Auch bis heute deckt sich das für mich mit dem Eindruck, wie er beispielsweise durch die Medien vermittelt wird. Zumindest dominiert da in meinen Augen das Leid, das wir uns gegenseitig zufügen (I look at you, gritty realism) – entweder direkt (Mensch gegen Mensch) oder über Umwege durch das systematische Abbauen der Erdressourcen (immer noch Mensch gegen Mensch, mit Boxenstop bei Bewohnbarkeit dieses Planeten).
Mit Beginn meiner Arbeit am Roman Saint Blake um 2010 herum konzentrierte ich mich plottechnisch auf eine ethnische Minderheit. Sie es schaffte es (lange vor dem eigentlichen Plot), ihrer Marginalisierung zu entfliehen, indem sie nach verheerenden Umweltkatastrophen die Versorgung ganzer Länder und Kontinente mit trinkbarem Wasser übernahm. Der Roman selbst spielt zu einem Zeitpunkt, an dem ganze Städte wieder neu aufgebaut worden sind, sodass es nicht, wie häufig typisch in Post-Apokalypsen, um das Überleben nach einer Katastrophe(nkette) geht. Allerdings spielt es eine Rolle, was manche Menschen vor Jahrzehnten taten, um nicht nur über die Runden zu kommen, sondern sich auch generell besser zu stellen im Laufe einer Neuordnung aller Dinge – und was sie jetzt bereit sind zu tun, um das zu verschleiern, obwohl die Wahrheit und damit geheim gehaltenes Wissen vielen helfen könnte. Saint Blake bildet mit seinen Figuren gesellschaftliche Kämpfe und die Unmöglichkeit der Feststellung des eindeutig „Guten“ und „Bösen“ ab. Das Worldbuilding sollte das unterstützen, Dinge verschärfen. Also gibt es in dem Roman viele Bezüge zur Natur: Viele Menschen sehen, was ihr Umgang mit der Erde ausgelöst hat, es gibt Gesetze, die rigoros den Schutz der Natur vorschreiben. Statt das jedoch negativ darzustellen, wenn bspw. mit Verboten gearbeitet wird, setzte ich für das Worldbuilding fest, dass die meisten Menschen sich damit identifizieren, die Natur zu bewahren und eine wertschätzende Verbindung mit ihr einzugehen. Für mich war das damals ein Novum in meiner Schreiberei, aber auch ein Glück: Ich fand zum Solarpunk und damit ein Stück weit Mut zur „konstruktiveren“2 als wirklich evasiven Utopie im echten Leben.
We’re solarpunks because the only other options are denial or despair. Solarpunk is about finding ways to make life more wonderful for us right now, and more importantly for the generations that follow us – i.e., extending human life at the species level, rather than individually. Our future must involve repurposing and creating new things from what we already have (instead of 20th century “destroy it all and build something completely different” modernism). Our futurism is not nihilistic like cyberpunk and it avoids steampunk’s potentially quasi-reactionary tendencies: it is about ingenuity, generativity, independence, and community3.
Hieropglyph 2014
– Adam Flynn
Für mich entspringt Solarpunk (mit der Sonne als zentrale Energiequelle und Inspiration, aus weiteren Quellen nicht invasiv zu schöpfen) den Nachrichten von heute, die keinen guten Clickbait hergeben (weil „zu öko“, „zu weit weg“): Flugroboter, die Blüten bestäuben können; Flugzeuge, die nur Wasserdampf emittieren; Duschköpfe, die den Wasserverbrauch um 70% reduzieren; Zelte, die Regenwasser und Sonnenenergie speichern; Lampen, die aus fensterlosen Räumen Mini-Gewächshäuser machen. Auch wenn einige Dinge noch der Verbesserung bedürfen (zur Freude vieler Kritiker*innen ökofreundlicher Erfindungen, vermute ich mal), zeigt sich ein Bewusstsein für die Endlichkeit der Dinge auf diesem Planeten. Und was jetzt schon entwickelt wird, ist die Chance für morgen, dass Menschen nicht mehr so verschwenderisch mit den Ressourcen umgehen und weiter so massiv wie jetzt der Erde schaden. Oder zumindest bei irreparablen Schäden umweltfreundliche Wege finden, zu überleben. Grundsätzlich können solche Schäden potenziell alle betreffen – ganz gleich ob arm oder reich. An diesem Punkt ist Solarpunk auch der Entwurf einer gesellschaftlichen Utopie von Kooperation: Das eine sprichwörtliche Boot, in dem wir alle sitzen (weil wir alle gleichermaßen überleben wollen), lässt uns näher zusammenrücken. Unterschiede werden überwunden und in Lernmomente umgewandelt, die alle zugutekommen können – in kultureller, wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Hinsicht. Soweit zumindest der schöne Traum mit der Gefahr, deskriptiv zu verbleiben.
Solarpunk kann in einem utopischen Setting in meinen Augen ein bewusstes Entscheiden gegen die weit verbreitete Negativität oder gar völlige Unbekümmertheit in Bezug auf unsere Zukunft (und das macht die Bewegung für mich persönlich auch punk, auch wenn Adam Flynn den Punk sieht in „infrastructure as a form of resistance“, Quelle wie Zitat). Wo manche Dystopien in Teilen Wahrheit wurden, wüsste ich nicht, warum es nicht mit Teilen einer solchen Utopie auch ginge. Es erscheint mir irrational anzunehmen, nur die schlechten Zukunftsvisionen würden wahr (vielleicht konsumiert man bspw. zu ungefiltert Nachrichten und lässt sich leiten von zwangsläufig geldabhängigen Medien, die munter clickbaiten). Oder anders formuliert: Ich weigere mich, an eine Zukunft zu denken, die rein dystopisch ist. Ich weigere mich auch, gar nicht an die Zukunft zu denken. In Konsequenz bin ich aber auch vorsichtig und muss sagen: Ich weigere mich auch, an eine Zukunft zu denken, die rein evasiv utopisch ist.
Manche Dystopie ist zum Greifen nah, Solarpunk auch mehr, als viele vielleicht ahnen oder sich trauen, das in Betrachtung zu ziehen. Ich möchte von beidem lesen und schreiben – nicht nur von einem der beiden Entwürfe. Mein neues Projekt Wie Federn so schwer ist eine Utopie ohne vorangestellte Apokalypse und anteilig auch solarpunkig: Die Menschen einer uns parallelen Realität haben früher als wir begriffen, dass der Schutz des Planeten zugleich Verantwortung für das eigene Fortbestehen ist. Demütig bemühen die Menschen sich gemeinsam, Werkzeug des Erhalts und nicht der Zerstörung zu sein. Allerdings ist diese Demut an Magie geknüpft – ohne eine gesunde Natur als Quelle ist die Magie nicht nutzbar. Das Vertrauen, wie es Solarpunk in Menschen zu haben scheint, dass Demut vor dem eigenen Zuhause „einfach“ dem Respekt vor der Natur und dem eigenen Leben entspringen kann, habe ich nicht. Aber ich freue mich auf die Arbeit an einer Welt, die unterm Strich aber dort ist, wo ich mich gerne Zeit meines Lebens sähe (ich weiß, ich brauche eine Zeitmaschine). Für mein Leben jetzt bedeutet das, dass ich mich nach Kräften bemühe, selbst ressourcenschonend zu leben bzw. zu konsumieren. Das ist für mich die Challenge, die es so sehr wert ist, in Angriff genommen und auch beschrieben zu werden in einem möglichen positiven Outcome. Es ist so wenig herausfordernd geworden, alles schwarz zu malen, wenn die Welt sich dunkelgrau anfühlt.
Linktipps mit relativ üblen Titeln, aber guten kleinen Infohappen:
- Klimaoptimismus in Kunst und Literatur Tagesschau / September 2023
- Mit utopischem Optimismus gegen den Klimawandel Deutschland Funk Kultur / Juni 2023
- Plötzlich Sehnsucht nach der Zukunft TAZ / Juni 2023
Collage: Ani Koshka/fieberherz.de – Bildcredits: Person von Natalya Letunova / Landschaft von Ben Cliff
- Basierend auf der Theorie der Utopie in der klassischen Antike nach B. Kitzler in „Der utopische Roman“ (Hgg. Villgradter & Krey, 1973) also „evasive“ und „deskriptive“ Utopie. ↩︎
- Eine wirkliche Quelle für bspw. Wikipedias Beschreibung von konstruktiver Utopie konnte ich leider nicht finden. Gerne Mail, wenn du die Quelle kennst, damit ich es hier ergänzen kann. ↩︎
- Dinge, die zum Beispiel queere Menschen unter anderem schon lange bewegen. #iykyk ↩︎