In manchen Debatten der Kreativ-Welt wird Canva meinem Empfinden nach quasi als in der Mikrowelle aufgewärmtes Fertigessen dargestellt, das auf der Packung stehen hat “Haute Cuisine leicht gemacht”. Während das grafische und technische Repertoire von Canva gewiss nicht die Tiefe an Möglichkeiten bspw. einer Adobe Creative Cloud bietet, ist es auch kein Werkzeug, das man unterschätzen und deren Nutzer*innen man verachten sollte. Es geht mir in diesem Post daher nicht darum, das Perfekte im Imperfekten zu finden, sondern darum zu beleuchten, wo Ressourcen ihren Platz haben können.
Ein Aspekt des Kreativseins ist für mich, mit Fehlern umgehen zu lernen. In welcher Tiefe ich in der Lage bin, mich so einem Lernprozess und eben diesen Fehlern auszusetzen, hängt von meinen Ressourcen ab – beispielsweise zeitlich, gesundheitlich, monetär, strukturell. Canva öffnet den Lernprozess, kürzt ihn gewissermaßen ab mit seinen vielen Vorlagen und Nutzer*innen haben schneller ein Ergebnis, an dem sie Freude haben. Wenn das, was sie ausdrücken wollen, seinen Ausdruck gefunden hat (ob irgendwer den Prozess nun als “niedrigschwellig” verteufeln will oder nicht), dann sollte in meinen Augen der Fokus auf dem Ergebnis liegen, nicht auf dem Prozess.
An dieser Stelle ein Beispiel für monetäre Ressourcen und Prozess-Ergebnis-Dilemmata aus meinem Design-Studium: Für einen Kurs zum Thema Gestaltungsgrundlagen sollte eine tiefergehende Auseinandersetzung mit den Gestaltungselementen (Formen, Linien…) sowie Seriation in Kombination mit Produktdesign stattfinden – alles umgesetzt mit Papier. Also arbeitete ich mit 80g leichtem Druckerpapier aus dem Aldi. Die Gründe waren simpel: a) Ich war arm, b) es war Papier, wie verlangt. Der Dozentin gefielen die Ergebnisse sehr. Als ich jedoch einmal vor dem ganzen Kurs erwähnte, dass ich Discounter-Papier nutze, wies die Dozentin mich vor allen zurecht: “Wenn Sie nicht in der Lage sind, sich professionelles Material beim Künstlerbedarf zu besorgen, sollten Sie nicht Design studieren.”
Warum ich dieses Beispiel liebe? Die Arbeiten wurden alle dennoch mit Bestnote ausgezeichnet und wurden am Tag der offenen Tür der Design-Hochschule ausgestellt für die Besuchenden. Und glücklicherweise habe ich auch sonst nicht auf sie gehört und meinen Bachelor und Master in Design abgeschlossen. Hatte ich Zweifel, an meiner Entscheidung, Design zu studieren durch die erwähnte Dozentin? Ja. War ich enttäuscht von mir selbst, weil ich mir das Studium inklusiver/ offener vorgestellt hatte und mich nun völlig naiv fühlte? Ja.
Ich persönlich wollte niemals, dass Menschen, die Freude an Canva haben, sich von mir verurteilt fühlen. Ich möchte nicht die Dozentin 2.0 sein. Du möchtest Canva nutzen? If it brings you happiness, go for it!
Um vergleichen zu können, in welchen Aspekten Canva Möglichkeiten gegenüber Programmen wie beispielsweise Adobe Photoshop, InDesign, Illustrator oder After Effects vermissen lässt, fehlt Menschen, die explizit mit Canva anfangen, sich kreativ auszudrücken, natürlich die Erfahrung. Und meiner Ansicht nach kann Canva durchaus darüber hinwegtäuschen, dass einem grundlegendes Wissen in Bezug auf Wirkungen von Formaten, Gestaltungselementen und Farbe sowie generell zielgruppengerechtes Design fehlen könnten. Auf seine Weise hat es aber mit den o. g. Programmen wiederum gemein: *Keine* Software ersetzt die tiefergehende Auseinandersetzung mit Gestaltungsprinzipien. Spinne ich den Gedanken weiter, lässt sich dann aber auch sagen, dass das Nutzen von Canva nicht automatisch darauf schließen lässt, dass diese Auseinandersetzung nicht stattgefunden hat oder nie stattfinden wird. Aber natürlich kann das Polarisieren und Aufmachen von Pseudo-Clubs irgendwo der Versuch der Aufwertung der eigenen Arbeit sein. Dabei kann das Nutzen von Canva professionellen Gestalter*innen doch eigentlich nichts “wegnehmen”. Viele dachten auch mal von der digitalen Fotografie, dass sie der Niedergang der “echten Fotografie” sei. Am Ende gibt es nicht weniger Fotograf*innen, aber viele neue tolle, die aufgrund des niedrigschwelligeren Einstiegs dazu gekommen sind und sonst weniger oder keine Möglichkeiten gehabt hätten, Kenntnisse in diesem Feld zu sammeln und sich fotografisch auszudrücken. Fun Fact: Auch die analoge Fotografie wurde mal für eine Bagatellisierung gehalten, schließlich sei doch die Malerei die Kunst aller Künste. Same old same old. Dass es Menschen gibt, die versuchen, neue Entwicklungen als Grund zu nehmen, andere schlechter zu bezahlen, möchte ich jedoch auch nicht unerwähnt lassen & kann auch eine nachvollziehbare Sorge derjenigen sein, die Dinge nicht direkt mit dem nächsten neuen und angeblich sehr einfachen Tool umsetzen wollen und können.
Warum ich diesen kleinen Beitrag schreibe, hat vor allem damit zu tun: Immer wieder höre ich von Menschen, die gewissermaßen “beichten”, Canva zu benutzen. Manchmal kommt es auch vor, dass ein direkter Vergleich zu mir und meinen Arbeiten bzw. Kenntnissen gezogen wird, als ob diese etwas Besseres seien. Sind sie nicht. Ich bin vielleicht nur ein bisschen erfahrener. Aber ich benutze selbst Canva und auch das verwandte Adobe Express, in verschiedener Hinsicht:
- Plakaterstellung für Ehrenamt
Mit Canva/Adobe Express kann ich mir leicht selbst Vorlagen erstellen und auf eine große Datenbank mit Grafiken und Fotos zugreifen. Ich erstelle Veranstaltungsposter, auf die auch andere Zugriff haben, um diese für sich abzuwandeln, wenn ich mal keine Zeit habe (Kollaboration!). Würde ich die Plakate mit InDesign, Illustrator & Co. erstellen, hätte ich eine Monopolstellung, die ich nicht möchte und müsste teils selbst mehr zahlen oder andere zahlen lassen für die Nutzung von Bilddatenbanken. - Einfache Social-Media-Posts (zum Beispiel das Titelbild für diesen Beitrag)
Wenn mich von unterwegs eine Idee überfällt, kann ich mit Canva/Adobe Express auch etwas auf dem Smartphone erstellen und posten. Das gibt mir mehr Freiheit, mich auszudrücken. Manchmal habe ich eine Textidee, aber noch keine grafische Idee – in den Vorlagen-Datenbanken finde ich immer Inspiration und habe direkt die Möglichkeit, nach meinen Wünschen anzupassen. Love a stream of consciousness! - Schnell Präsentationen erstellen
Die Vorlagen von PowerPoint und Keynote haben mich noch nie angesprochen. Und am Ende brauche ich nicht alles zu 100% selbst gemacht haben, solange die Präsentation dem Anlass angemessen ist und mich auch in ästhetischer Hinsicht glücklich macht. Dann tut’s auch wunderbar etwas von Canva.
Sofern es um die Kommunikation mit branchenüblichen Dateiformaten und/oder komplexe Projekte geht, lande ich immer wieder bei den herkömmlichen Grafikprogrammen. Womit ich nicht meine, dass Canva nur zu benutzen ist, wenn die herkömmlichen Grafikprogramme bekannt/zugänglich sind – so, wie ich es gelernt habe, grafische Arbeiten zu erstellen, ist es irgendwann auch für mich persönlich zeiteffizienter, auf das für mich Bekanntere zurückzugreifen.
Canva bietet vielen Menschen einen niederschwelligen Zugang zur Gestaltung, ermöglicht kreative Experimente und fördert die Entdeckung eigener gestalterischer Fähigkeiten – und das ohne den Anspruch, das Wissen um Gestaltungsprinzipien zu ersetzen. Und das ist völlig in Ordnung. Wir sollten aufhören, Werkzeuge und ihre Nutzer*innen zu beurteilen, sondern uns vielmehr auf das konzentrieren, was wirklich zählt: die Freude am Schaffen und die Vielfalt der kreativen Ausdrucksformen.